oder »Der schwere Versuch, mit Autofahren leicht Geld zu verdienen«
In der Corona Pandemie hat man es als Single nicht leicht, am Samstag Abend ein wenig Zerstreuung zu finden. YouTube ist leer geguckt, Netflix schon seit längerem obsolet und die Stammkneipe hat schon seit gefühlten Jahren geschlossen.
Nicht nur die, die eine eigene Familie haben igeln sich ein. In einer Pandemie-Samstag-Nacht im Dezember 2020 kommt gefühlt das gesamte öffentliche Leben zum erliegen und mir fiel mal wieder die Wohnzimmerdecke auf den fieberfreien Kopf.
Wie schon so oft, verspürte ich trotz Indoor-Sport-Einheit, akuten Handlungs- und Bewegungsdrang. Da kam mir die Werbung in meinem Safari-Webbrowser sehr gelegen: Es werden Mover gesucht: Das bedeutet konkret, Miet bzw. neudeutsch »sharing« Fahrzeuge des Anbieters »miles« aus unwirtschaftlichen Ecken der Hauptstadt in die Corona-Hot-Spots des öffentlichen Lebens zu bewegen und dafür Zaster zu kassieren. Liest sich toll und die Registrierung mit Führerschein, Perso und Video-Authentifizierung – powered by Zoom – war in weniger als fünf Minuten erledigt. Auszahlung soll jeden Freitag aufs PayPal Konto erfolgen. Tutto Bene.
Nun nochmal fünf Minuten auf die Freischaltung warten, in die Winterjacke schlüpfen und fertig war die Verwandlung zum Samstag-Abend-Mover.
Das ich mit dieser Unternehmung nicht meine nächste Weltreise würde finanzieren können, war mir von vornherein klar. Ob es aber wirklich wirtschaftlich Sinn machen würde, also wieviel genau hängen bleiben würde, wollte ich herausfinden.
Das erste Move-Objekt in Form eines recht neuen VW-Polos musste erstmal gefunden werden. Es stand am Mierendorfplatz. U-Bahn freundlich gelegen. Denn ich musste ja irgendwie am Ende meiner »Schicht« auch wieder nachhause kommen. Um nicht gleich ein U-Bahn-Ticket zu verballern und mich in riesen Unkosten zu stürzen, bevor ich den ersten Cent verdient hatte, wählte ich als Fortbewegungsmittel meinen treuen Smart cdi. Kosten von 0,372 € pro Kilometer machten die Anreise zum Mierendorfplatz mit 3 km relativ wirtschaftlich: 1,12 € standen nun erstmal auf der Soll-Seite.
Der zu »movende« Polo präsentierte sich unaufgeregt in der kalten und diesigen Nacht. Nur der starke Nikotingeruch und die schmierige Frontscheibe störten den positiven Gesamteindruck. star-fm reingedreht und auf direktem Weg in den Prenzelberg. Nach wenigen Kilometern begann die Heizung zu wärmen und nach etwa einer halben Stunde Arbeitszeit begann ich Spaß dran zu haben, durchs nächtliche, verkehrsarme Berlin zu düsen und damit auch noch Geld zu verdienen.
Der Prenzelberg war erreicht und das Fahrzeug auch schnell in einer »HotZone« geparkt. Nun war ich endlich im Haben und hatte ein wenig Geld verdient.
Leider kann man in der App nicht sehen, wo das nächste Fahrzeug steht. Dafür braucht man dann wohl ein zweites iPhone und so ist es ein Glücksspiel, wie weit man zum nächsten »Move-Objekt« zu laufen hat. Nicht cool und ein echter Show-Stopper. Auch der verdiente Zaster wird einem nicht quittiert oder irgendwo gut geschrieben. Vertauen zu »miles« ist gefragt.
Ich hatte relatives Glück – vorerst – denn das nächste Fahrzeug war unter 2 km entfernt und der Algorithmus sagte, daß es in den Friedrichshain bewegt werden wollte. Fußmarsch durch die kalte Nacht. Was erschwerend hinzu kam, war der Umstand, daß ich das Fahrzeug nicht reservieren konnte. Die mover-App sieht das einfach nicht vor. Ein Lotteriespiel ob nicht doch das Fahrzeug von einem zahlenden Kunden bewegt wird und ich umsonst im kalten Prenzlauer Berg umher gewatet bin. Umsonst ist ein tolles Stichwort, denn der Marsch war tatsächlich umsonst, denn das Fahrzeug ließ sich nicht öffnen. App Neustart mit kalten Fingern. Nix, niente, nada. Also die Hotline anrufen und um Hilfe bitten. Ein Link direkt aus der App führt zum Telefonhörer, wie bequem! Nur leider kein Gegenüber, nur eine Bandansage: »Dieser Service steht zur Zeit nicht zur Verfügung«* Oh well. Innerhalb von wenigen Minuten wurden aus Euphorie pure Verzweiflung. Was mache ich hier um 22:30 Uhr in einer dunklen Nebenstrasse ohne Mobilität weit von meiner warmen Bude entfernt?!
An Aufgeben wollte ich nicht denken. Die Flucht nach vorn: Wo steht ein anderes Move-Objekt Auto? Das nächste war im tiefen Wedding hinter der Wollankstrasse. Zu weit zu laufen.
WeShare, die e-Golfs wollte ich immer schon mal ausprobieren, wusste aber dass diese Fahrt für meine Haben-Seite wenig förderlich sein würde. Trotzdem klappte die Miete des e-Golfs unproblematisch und wenig später schnurrte ich fast lautlos und elektrisch durch die kalte Nacht. Im Wedding dann viele Einbahnstrassen und akuter Parkplatzmangel. Mindestens einen Euro MietSharing-kosten verbrachte ich damit einen Parkplatz zu finden. Dieser war dann auch wieder weit entfernt von meinem, zum Geld verdienen, zu bewegenden Fahrzeug.
Also wieder Fußmarsch. Nicht gerade in meinem Lieblings-Ghettobezirk. Komische Gestalten auf den ansonsten leeren Gehwegen. Der miles-Polo wurde erreicht und ließ sich auch öffnen. Kurze Freude, dann wieder der Geruch von kaltem Rauch und selten gewaschener Kleidung, den ich noch aus den Eck-Kneipen mit den nikotingelben Vorhängen, einer längst vergessenen Zeit, kannte. Warum darf man in den Autos rauchen? Zum Glück lag kein Müll in dem Auto, denn diesen hätte ich laut »Rule-book« noch wegräumen müssen. Nicht auszudenken, wenn in dem Auto vollgerotzte Taschentücher gelegen hätten!? Sollte ich die dann wegräumen? Echt? Komische Gedanken stellten sich ein. Aber erstmal fahren.
Die direkte Fahrt in den Friedrichhain wurde dann durch eine rote Kelle auf der Danziger Strasse jäh unterbrochen. »Allgemeine Verkehrskontrolle« nennt die Berliner Polizei das. »Fahrzeugschein und Führerschein bitte – haben Sie Alkohol getrunken oder Drogen konsumiert?«
»Nein, den Fahrzeugschein habe ich nicht, ich bin »Mover«
»Sie sind was?«
nach einer kurzen Erklärung durfte ich meine Fahrt fortsetzen. Erleichtert aber doch ein wenig aufgekratzter ging es in den Friedrichshain. Am Boxi habe ich dann einen schönen Parkplatz gefunden und das nächste Fahrzeug gesucht.
Am Ostbahnhof. Euer Ernst? Das sind fast drei Kilometer Fußmarsch! Egal, einfach machen! Vorbei an Polizeiwache und gelockdowntem Berghain, Neues Deutschland-Hochaus und fast menschenleerem Ostbahnhof. Dann endlich der schwarze »miles«-Polo unter einer Brücke!
Zu meiner ersten Euphorie gesellte sich schnell harte Frustration, denn der Wagen ließ sich erneut nicht öffnen. Eigentlich ein Kündigungsgrund mit Schadensersatzforderung: Arbeitsverweigerung bei nun 50% der Aufträge!
Das kann es doch nicht sein, oder?**
Weitere Fahrzeuge wären mehr als fünf Kilometer entfernt gewesen und da es kurz vor Mitternacht war, entschloss ich mich, das Experiment des »leichten Geldverdienens« zu beenden.
Leider kam die nächste S-Bahn erst in 20 Minuten und diese würde mich auch nicht zurück zum Mierendorfplatz bringen. Also reservierte ich mir ein shareNow, mit dem ich zum Mehringdamm fuhr, um mit der U-Bahn zurück zum Mierendorfplatz zu fahren.
Um kurz vor ein Uhr war ich etwas aufgedreht und nach Nikotin stinkend wieder zuhause.
Gut drei Stunden Arbeit lagen hinter mir. Natürlich hätte ich die Wege ein wenig mehr optimieren können. zum Beispiel mit einem Brompton Faltrad im Kofferraum, sofern vorhanden. Dann hätte ich keine anderen Sharing-Dienste in Anspruch nehmen müssen. Aber so bleibt nicht viel, außer kalte Ernüchterung und einen Stundenlohn von 1,89 €
Fazit: Ich bin kläglich gescheitert ein paar Kröten zu verdienen. Woran es genau lag, mag ich nicht beurteilen. Vielleicht an meinem unvermögen die richtigen Entscheidungen zu treffen. An der Technik oder meiner Ortskenntnis lag es nicht. Ausgestattet war ich mit einem iPhone 12 Pro max mit 5G und vollem Akku.
Lag es vielleicht doch an einem ausbeuterischen Geschäftsmodell des Anbieters? Aber vielleicht sollte man auch nicht die Erwartungshaltung haben, mit solch einem Job eine mehrköpfige Familie durch den Corona-Winter 2020 füttern zu können!? Aber nicht mal zum Hobby-Autofahren-Geldverdienen taugt das Ganze. Eigentlich ein Geschäftsmodell, dass von höherer Stelle unter die Lupe genommen gehört. Herr Wallraff hätte sicher auch seine Freude an dem Projekt gehabt. Meine Meinung. Was meinst Du?
Teilen des Artikels ausdrücklich erwünscht!
* Unter der Telefonnummer ist nie jemand zu erreichen. Egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit. Immer Bandansage.
** Der miles-Polo steht vier Tage später dort immer noch, ohne bewegt worden zu sein. Habe gerade in der App nachgeschaut.